Ich habe es ihr versprochen, doch schon beim Sprechen des Treueschwures brach ich das Meinige und dennoch werde ich es wahren.

“Nein“, sagt Pegi mit einer gebrochenen Stimme, „mach bitte kein Foto von mir – sonst sieht jeder sofort all die Trauer in mir“. Der Blick aus den verwässerten blau-grauen Augen ist ebenso klar wie ihre Forderung. Pegi McCartney ist nahezu 80 Jahre, zum Ende des Jahres hin, doch an Aufgeben denkt die Bücherfreundin nicht. Seit einigen Jahren betreibt die englische Lady, die einst in den 80er Jahren nach Südafrika kam, ein junges Antiquariat im Touristen Zentrum Kamogelo in Hoedspruit in der Provinz Limpopo. Bietet dort neben moderner Belletristik  auch Sachbücher an, gibt jedoch auch jungen antiquarischen Werken ihren Raum. 

Ein gewagtes Unterfangen, denn das weltumspannende Internet hat in der ländlich geprägten Provinzstadt Hoedspruit eine weitaus höhere Bedeutung als in Europa. „Was stört mich das Internet“, erklärt Pegi, bevor sie sich eine Zigarette anzündet und die viel gelesenen Memoiren von Elizabeth Taylor zu Seite legt. Der deutsche Besuch hat nun Vorrang und „außerdem habe ich selten etwas schlechteres gelesen“, resümiert sie kurz, bevor sie nochmals nach meinem Befinden erkundet. Kurze Floskeln über die Südafrika-Verliebtheit vieler Deutschen von denen ich glaube, mich zu unterscheiden und Pegi`s kurzes Abchecken meiner Person erheitern die Situation. „Journalistin bist du also“, grient sie und berichtet von jener Dame, die von einer sehr bekannten Zeitschrift für Heim und Garten kam und für einen Artikel die interessantesten Buchläden Südafrika aufsuchte.

Der Schalk sitzt der fragil wirkenden Lady im Nacken, die nur allzu gut ihren Platz in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhundert gefunden hätte, sicherlich aber auch nicht der freien Lebensart der 70er Jahre abgeneigt war. Die Schadenfreude ist nicht zu überhören, als sie berichtet, dass sie extra Grimassen zog, sich einen großen Hut über den Kopf stülpte und schließlich der Reporterin sagte, dass sie einfach gehen solle. Die Worte waren rauher, gemeint war aber selbiges. Der Drang nach Selbstdarstellung ist Pegi zuwider…Nein, ihr reicht es, wenn das Geld für die Miete des Ladens reinkommt und noch ein wenig zu leben. „Ansonsten habe ich meine Bücher“, lächelt sie und greift erneut zu einer Zigarette. That’s enough!

Das Gespräch wird schnell persönlich, aber Begegnungen dieser Art berühren schon seit meiner Ankunft im Lowveld immer wieder erneut mein Inneres und lassen mich staunen wie schnell die Menschen am Rande der nördlichen Drakensberge ihre Herzen öffnen und dich in ihre Seele schauen lassen. Dich teilhaben lassen an ihrer Freude. Ihren Sorgen. Ihren Schmerzen und dennoch die flüchtig-intensiven Begegnungen hinter einer scheinbaren Wand unverständlicher Oberflächlichkeit kaschieren. In einem Moment ist man der Seele sehr nah, doch schon nach wenigen Minuten entschwindet die gelebte Nähe in eine nicht nachvollziehbare Oberflächlichkeit. Pegi lächelt.

Mehr als nur ein „Buchladen“ ist das moderne Antiquariat von Pegi McCartney – denn hier darf geschmökert  werden. Miteinander reden, tratschen oder einfach nur gemeinsam schweigen… Ein Rückzugsort für viele Bedürfnisse.        
Fotos: mcb

Klassische Musik erfüllt den mit rund 1.500 gebrauchten Büchern gefüllten Raum, der einem traditionellem Rondavel nachempfunden ist und während der Rauch ihrer  Zigarette seinen Weg in die schon verblichenen Seiten der Second-Hand-Literatur sucht und findet, erzählt Pegi der Fremden wie sie vor einigen Jahren die verbliebene Asche ihres Mannes in einem Plastikbeutel mit nach Bali nahm. Auf der indonesischen Insel bei Java angekommen fand Pegi einen vertrauenswürdigen alten Taxifahrer und fuhr mit ihm in einem – man konnte es nicht mehr Auto nennen – zu einem Traumstrand. Seinem Traumstand und nach einem kurzen Trip in einem kleinen Boot übergab die einstige Geliebte dem Meer die sterblichen Überreste ihrer großen Liebe. Was sie in das Meer fallen ließ, hat sie dem Taxifahrer nicht verraten, aber als sie an Land nach der Bootspartie nach einem extragroßen Drink fragte, stellte er keine Fragen, sondern trank gemeinsam mit ihr zwei Blue Mountain Cocktails.

„U know“ nuschelt die Buchfreundin, die ihr wahres Alter lieber geheim halten möchte. „Wenn ich gehe, bringt mich zum Third Beach“, fordert sie ihre Besucherin auf. Einfach die kremierten Überreste eines erfüllten Lebens in einer Kaffeedose fassen und den Inhalt dem Meer übergeben – so wie sie einst ihrer Liebe den heiß ersehnten letzten Wunsch erfüllte. Bali war sein Traum, erklärt sie – der Third Beach soll ihre letzte Ruhestätte werden. Die Grande Dame des gebrauchten Buches möchte „das wenige, was bleibt“ in der Clifton Bay nahe Capetown verstreut wissen. Genau am dritten Stand. Jener Bucht, die zu den schönsten Stränden Capetowns und selbst der Welt zählt. Well chosen, Pegi.

Das Rezept des Blue Mountain-Cocktails habe ich nicht gefunden, doch bei jeder Fahrt nach Hoedspruit schaue ich im Kamogelo Centre bei der zarten Lady mit der verwaschenen Stimme vorbei. Oft vergeblich, denn wenn Lady McCartney nicht in der Stimmung ist ihr zweites Zuhause der Öffentlichkeit preiszugeben – dann läßt sie es. „Shit happens. It’s my store“ und wenn es die Befindlichkeit eben nicht zulässt, dann bleiben die stylischen Holztüren in Pegi`s Book Emporium geschlossen. Es bleibt zu hoffen, dass sie sich noch oft – nicht nur für den buchinteressierten Besucher öffnen….

mcb/7-2019

Eigentlich mag Pegi keine Fotos, bzw. lässt sich die Grand Dame der Bücher nur dann fotografieren, wenn ihr danach ist.
Danke Pegi McCartney

Pegi`s Book Emporium

(Die Boekwurm)

124 Springbok Street, Hoedspruit

Shop 14

Kamogelo Tourism Centre                

Contact: Pegi McCartney

084 746 3649

 

Leider musste Pegi aus gesundheitlichen Gründen Ende 2019 ihren geliebten Buchladen aufgeben. Mit 80 Jahren hat sie sich neuen Herausforderungen gestellt und ist zu ihrer Tochter nach Pretoria/ Sandton gezogen. In den letzten Tagen ihres Book Emporiums verkaufte sie jedes Buch für nur 10 Rand (derzeitiger Wert rund 0,70 €) – unglaubliche Schätze wie Fotobände von Gerhard Hobermann wechselten so sehr sehr preiswert ihre Besitzer.

Den Buchladen im Kamogelo Centre haben zwei Damen aus Hoedspruit übernommen und befindet sich immer noch im Innenhof des Kamogelo Centre. Heute heißt er „Die Boekwurm“ und Dina und Rita bieten – nun etwas sortierter, aber reduzierter – ihre Bücher an. Beide Damen sind ebenfalls schon in Rente und betreiben den kleinen Buchladen als Zuatzgeschäft zur kargen Rente.

mcb/4-2021